In einem weiteren Modul meiner Mediationsausbildung standen die psychologischen Grundlagen der Konfliktbearbeitung im Vordergrund. Ein Themengebiet auf das ich als Juristin ausgesprochen gespannt war, da ich hiermit bislang sehr wenig Berührungspunkte hatte. Die breitgefächerten Lerninhalte in einen Blog-Post zu fassen, würde jedoch in eine lange Aufzählung ausarten. Aus diesem Grund greife ich einen Aspekt heraus, der mir besonders in Erinnerung geblieben ist – auch weil ihn unser Dozent Franz-Josef Innerhofer, mit der folgenden Geschichte veranschaulicht hat:

Mehrere blinde Menschen werden gebeten, durch Betasten zu ermitteln, was sie vor sich haben, ohne zu wissen, dass es sich dabei um einen Elefanten handelt. Jeder untersucht den ihm zugewiesenen Körperteil mit seinen Händen. Dann beschreiben sie ihre Erfahrungen und gelangen jeweils zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen:

Der Blinde, der das Bein befühlt, glaubt eine Säule identifiziert zu haben.

Der, der die Schwanzspitze anfasst, erkennt im Elefanten eine Bürste.

Derjenige, der den Schwanz abtastet, geht von einem Seil aus.

Der, der den Rüssel befühlt, begreift diesen als einen Pflug.

Der, der das Ohr inspiziert, tippt auf einen Handfächer.

Der, der den Bauch berührt, meint vor einer Wand zu stehen.

Der, der den Rücken betastet, entdeckt so etwas wie einen Mörser im Elefanten.

Der, der den Stoßzahn erkundet, macht eine stabile Röhre aus.

Auf Basis ihrer unterschiedlichen Schlussfolgerungen geraten die acht Blinden schließlich in Streit darüber, wer denn jetzt richtig läge. Die „Moral der Geschichte“ ist, dass sie alle Recht haben. Der Elefant hat all die Eigenschaften, die die Blinden beschrieben haben (und noch viele mehr). Der Grund für die verschiedenen Perspektiven ist, dass jeder von ihnen einen anderen Teil des Elefanten berührt hat.

Die Geschichte bietet ein illustratives Beispiel dafür, dass unsere Wahrnehmung der Realität unmittelbar mit der eigenen Erfahrung und somit der psychologischen Vorprägung zusammenhängt. Und so gibt es eben nicht die eine Realität, sondern ganz unterschiedliche Blickwinkel und Wahrnehmungen davon, die alle gut nebeneinander gelten gelassen werden können. Eine wertvolle Erkenntnis, die man als Mediator_in nutzen kann, um ein besseres gegenseitiges Verständnis der Streitparteien zu fördern.

 

Teilnehmerin in Hamburg, Claudia Kück