Live Online-Module im Rahmen der Mediationsausbildung
Evaluation von Fragebögen basierend auf dem Feedback der Teilnehmenden zweier Frühjahrskurse 2020 in Stuttgart und Hamburg
Von Dr. Imke Wulfmeyer und Dr. Andrea Hartmann-Piraudeau
I. Vorbemerkung
Als am 17. März 2020 alle Bildungseinrichtungen in Deutschland ihre Türen schließen mussten, standen die Mediations-Ausbildungsinstitute am Scheideweg: Sollten sie ihre Kurse so lange verschieben, bis wieder herkömmlicher Präsenzunterricht möglich wäre? Oder sollten sie die Flucht nach vorne antreten und ihre Curricula auf digitale Formate umstellen? Diejenigen, die im Frühjahr den letzteren Weg wählten, können heute auf wertvolle Erfahrungen mit einer Unterrichtsform zurückgreifen, die noch vor einem Jahr ein Exotendasein in der Ausbildungslandschaft für Mediator*innen fristete. Damals galt es als das innovative i-Tüpfelchen einer Mediationsausbildung, den Teilnehmenden schon eine Prise Expertenwissen zum Zukunftsthema Online-Mediation zu servieren. Nur wenige Ausbildungsinstitute sprachen dieses vermeintliche Nischen-Thema überhaupt im Rahmen der Basisausbildung zum zertifizierten Mediator an. Heute haben die Absolvent*innen dieser Frühjahrskurse die digitale Zukunft der Mediation schon über viele Stunden hinweg am eigenen Leib erfahren. Aber wie ist es ihnen in der über Nacht digitalisierten Lernumgebung ergangen? War es überhaupt möglich, die Einübungsmethode der Mediation im virtuellen Klassenraum zu erlernen? Haben die Teilnehmenden es als Defizit empfunden, in einem Rollenspiel zwischen zwei nur als Kacheln auf dem Bildschirm sichtbaren Konfliktparteien zu mediieren? Oder konnten sie sich vielleicht sogar besser konzentrieren und sind ganz nebenbei auch noch zu kompetenten Online-Mediator*innen geworden?
Die Evaluation von Fragebögen, die von den Absolvent*innen zweier Ausbildungslehrgänge des Instituts CONSENSUS Campus beantwortet wurden, leistet einen instruktiven Beitrag zur Diskussion über die Vergleichbarkeit zwischen virtueller und physischer Präsenz in der Mediationsausbildung. An diesem Institut fanden – wie auch sonst zweimal jährlich – ab Ende Februar 2020 in Hamburg bzw. ab Anfang März 2020 in Stuttgart Ausbildungslehrgänge nach § 2 Abs. 4 Zertifizierte MediatorenAusbildungsverordnung (ZMediatAusbV) statt. Beide Gruppen hatten ein erstes, 24-stündiges Modul vor Ort in Hamburg bzw. Stuttgart besucht, als es Mitte März 2020 aufgrund der Corona-Pandemie allen Bildungseinrichtungen untersagt wurde, Kurse in dieser Unterrichtsform fortzusetzen. Den Teilnehmenden wurde daraufhin angeboten, an den nächsten Modulen der Mediationsausbildung live online über Zoom teilzunehmen, bis der Unterricht im realen Raum wieder erlaubt und zu verantworten wäre. Dieses Konzept wurde durch digitale und analoge Bonus-Angebote ergänzt, insbesondere ein zusätzliches 6. Modul von 24 Präsenzzeitstunden, um genügend Übungsmöglichkeiten face to face zu gewährleisten. In der Hamburger Gruppe wurden die Module 2 und 3 (insgesamt 48 Zeitstunden) virtuell durchgeführt, die Module 1, 4, 5 und 6 (96 Zeitstunden) im physischen Raum. Die Stuttgarter Gruppe erhielt während der Module 2, 3 und 4 (72 Zeitstunden) Live Online-Unterricht, während die Module 1, 5 und 6 (72 Zeitstunden) analog vor Ort unterrichtet wurden. Insgesamt nahmen 15 Personen an der Befragung teil. Die für beide Gruppen identischen Fragebögen enthielten sechs einfach gehaltene Fragen, bei denen die Teilnehmenden einen Schieberegler auf einer Skala von 0 bis 100 % bewegen konnten. Zusätzlich konnten zu jeder Frage individuell formulierte Kommentare abgegeben werden, außerdem ein abschließender Kommentar „Allgemeine Bemerkungen zur Frage Online- oder Offline-Unterricht/Vor- und Nachteile“.
II. Der Fragebogen zur Evaluation der Live Online-Module
Im Einzelnen wurden die Fragen wie folgt beantwortet:
1) Allgemeine Live Online-Erfahrung
Was waren Ihre persönlichen Erfahrungen mit dem Online-Modul?
(Skala: Schieberegler 0 % = nicht wertvoll; 100 % = sehr wertvoll)
Durchschnittsergebnis: 92,5 %
2) Einzelheiten zur Live Online-Erfahrung
2.1. Wie beurteilen Sie den Wissenstransfer online?
(Skala: Schieberegler 0 %= nicht gut; 100 % = sehr gut)
Durchschnittliches Ergebnis: 95,5 %
Kommentare zum Wissenstransfer online:
– Volle Konzentration auf den Bildschirm und die Stimme
– Insbesondere die Theorieeinführung nützt offline wenig, wenn sie nicht interaktiv vermittelt werden kann. Ich würde es immer vorziehen, dies online zu tun.
– Bessere Konzentration und Aufnahme des Gelernten durch den Online-Raum
– Der reine Wissenstransfer ist online wie offline genauso gut möglich und spart Zeit, wenn große Entfernungen zu überwinden sind.
– Die eigene Umgebung war hilfreich für die volle Konzentration
– Längere Konzentrationszeiten, Reaktionen werden besser wahrgenommen
2.2. Wie gut haben Gruppendiskussionen online funktioniert?
(Skala: Schieberegler 0 % = nicht gut; 100 % = sehr gut)
Durchschnittsergebnis: 88,5 %
Kommentare zur Gruppendiskussion online:
– Ich hatte das Gefühl, dass alle sich ein wenig kürzer fassen – das war gut!
– Ich fand die Diskussionen online sogar noch lebendiger. Trotzdem hat das Arbeiten von Angesicht zu Angesicht natürlich einen Mehrwert. Alles, was von Angesicht zu Angesicht sinnvoll ist, sollte vor Ort durchgeführt werden (d.h. insbesondere Live Mediation in all ihren Varianten)
– Diskussionen laufen online reibungsloser ab
– persönliche Aufmerksamkeit, Blickkontakt, Körperhaltung, Gesten fehlen online
– Gespräche lassen sich – möglicherweise auch aus Gewohnheit – leichter führen, wenn man im direkten Kontakt mit dem Gesprächspartner ist
– Das Format hatte keinen besonderen Vorteil. Dennoch konnte ich viel Positives aus dieser Unterrichtsform ziehen. Ich würde sagen, die Diskussionen waren online und offline gleich gut.
2.3. Wie gut haben die Rollenspiele bzw. Mediations-Simulationen aus Ihrer Perspektive online
funktioniert?
(Maßstab: Schieberegler 0 % = nicht gut; 100 % = sehr gut)
Durchschnittliches Ergebnis: 82,7 %
Kommentare zu Mediations-Simulationen online:
– Guter Fokus auf das Thema, weniger Gerede
– War online irgendwie persönlicher, aber je nach Situation auch offline besser für realistische Erfahrungen, z.B. was passiert, wenn jemand aus dem Raum läuft. Solche Dinge erfährt man besser am eigenen Leib bei Schulungen vor Ort.
– Als Anfänger fehlte mir beim Online-Unterricht der reale Raum, die Bewegung im Raum, die Körpersprache usw.
– Offline ist es leichter, spontan zu reagieren
– Auch hier finde ich Offline und Online gleich gut. Online hat vielleicht der Vorteil der Konzentration auf einen Bildschirm
– Es funktionierte besser, das Verhalten anderer zu beobachten und zu reflektieren, wenn ich alles auf einem Bildschirm sehen konnte
3) Selbsteinschätzung
3.1. Wie sehr stimmen Sie dieser Aussage zu? Ich fühle mich in der Lage, eine professionelle
Mediation anzubieten.
(Skala: Schieberegler 0 % = absolut nicht; 100 % = ich fühle mich voll fähig)
Durchschnittsergebnis: 86,7 %
3.2. Wie sehr stimmen Sie dieser Aussage zu? Ich fühle mich in der Lage, Online-Mediationen
durchzuführen.
(Skala: Schieberegler 0 % = absolut nicht; 100 % = ich fühle mich voll fähig)
Durchschnittsergebnis: 78,5 %
Anmerkungen:
– In der Theorie weiß ich alles, aber ich brauche noch Praxis, um mich sicher zu fühlen
– Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an.
– Ich habe bereits eine Online-Mediation durchgeführt.
– Ich fühle mich immer noch wie ein Anfänger, aber das ist wohl normal.
– Simulationen sind keine echten Mediationen – das muss ich jetzt üben.
Allgemeine Bemerkungen zur Frage Online- oder Offline-Unterricht/Vor- und Nachteile:
– Beide Unterrichtsarten (offline und online) waren gut.
– Online bin ich weniger von der Gruppe abgelenkt und kann mich daher besser auf meine Rolle konzentrieren.
– neutral
– Online fühlt man sich in einer geschützten Umgebung.
– Konnte mich online besser auf mich selbst konzentrieren
– Ich habe online die Körpersprache vermisst.
– Inhaltlich haben mich auch die Online-Module gut vorbereitet, aber es fehlte die Körpersprache. Allerdings wird bei mir in Zukunft der Schwerpunkt auf der Online Mediation liegen, hier haben ich schon einige Optionen mit virtuellen Teams.
– Vorteile beim Offline-Training: Besseres Gefühl für Raum und Menschen, Körpersprache konnte besser wahrgenommen und geübt werden, Körperhaltung und Präsenz im Raum konnten einbezogen werden, Umgang mit dem Flipchart war leichter
– “von Angesicht zu Angesicht” ist die Mediation realistischer
– Online war es leichter, die Reaktion mehrerer Personen parallel wahrzunehmen, da alle auf einem Bildschirm zu sehen waren
– Online habe ich einfach das Networking, das lockere Gespräch in den Pausen, in der Küche etc. vermisst
– Online konnte die Kommunikation „zwischen den Zeilen“ schlechter wahrgenommen werden
– Ein Vorteil des Online – Unterrichts: klarere Struktur, wer spricht, hat die Führung
– Beide Formate haben Vor- und Nachteile. Die Mischung aus Präsenz – und Online- Modulen war optimal.
– Das Training war insgesamt erfolgreich!
III. Fazit
Die Einschränkungen der Corona-Pandemie stellten zugleich eine große Herausforderung und eine historische Chance für die Ausbildungsinstitute dar. Über Nacht war die Option „Alles bleibt, wie es war“ vom Tisch. Wenn dies in einer Mediationssitzung passiert, kann es die Konfliktparteien zunächst in eine Art Schockstarre versetzen, aus der sich durch ein gelungenes Empowerment ein Sturm kreativer, innovativer Ideen entfesseln lässt. So haben auch etliche Mediations-Ausbildungsinstitute in der Corona- Krise ihr kreatives Potenzial entfaltet und ihre Curricula in einem wahren Kraftakt in kürzester Zeit auf Live Online-Unterricht umgestellt. Die Befragung der Teilnehmenden zeigt sehr eindrucksvoll, wie gut dies gelungen ist, wohlgemerkt trotz der mangelnden Erfahrung und der Unsicherheit sowohl bei den Lehrenden als auch bei den Lernenden in Bezug auf die Möglichkeiten des virtuellen Klassenraums. Die hohen Prozentzahlen sprechen für sich, können aber dennoch kaum widerspiegeln, mit wie viel Freude und Inspiration die Teilnehmenden als „Online-Pioniere“ bei der Sache waren und was für ein enger Zusammenhalt sich in beiden Gruppen entwickelt hat. Festzuhalten bleibt: Die vorliegenden Ergebnisse sind ein starkes Indiz dafür, dass die wesentlichen Kompetenzen einer Mediationsausbildung auch im Wege des Live Online-Unterrichts vermittelt werden können; zusätzlich wird dabei die Kompetenz zur Online-Mediation vermittelt, die umgekehrt bei einem traditionellen Präsenzunterricht außen vor bleibt. Bei den inzwischen angelaufenen, ebenfalls durch die Pandemie geprägten Herbstkursen ist die digitale Transformation schon ein ganzes Stück weitergekommen: Die Ausbilder*innen sind digital viel versierter und verfügen über eine ganze Palette interaktiver Tools, um einen spannenden, handlungsorientierten Unterricht im virtuellen Raum zu gestalten. Die Teilnehmenden bringen mehr digitale Kompetenz aus ihrer beruflichen Praxis mit und legen ausdrücklich Wert darauf, neben der klassischen Mediationskompetenz auch die immer stärker nachgefragte Kompetenz zur Live OnlineMediation zu erwerben, die längst nicht mehr einem kleinen Kreis von Experten überlassen wird. Live Online-Formate eröffnen ganz neue Möglichkeiten, sowohl die Mediationsausbildung als auch die Mediation als Verfahren nachhaltiger, kostengünstiger und internationaler zu gestalten. So können sich Menschen in einer virtuellen Runde begegnen, die im physischen Raum niemals zusammengekommen wären. Daher ist die Mediationsausbildung im virtuellen Klassenraum keinesfalls nur eine der Pandemie geschuldete Notlösung. Vielmehr ist sie eine wichtige Ergänzung des analogen Präsenzunterrichts, die für die Zukunftsfähigkeit der Mediation von entscheidender Bedeutung ist und in keinem zeitgemäßen Ausbildungskonzept fehlen sollte.