Autorin: Dr. Imke Wulfmeyer

Dr. Imke Wulfmeyer, stellvertretende Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft für Familienmediation (BAFM), Mediatorin (BAFM/ BM) in eigener Praxis mit dem Schwerpunkt Familienmediation, Rechtsanwältin, Anwältin für Cooperative Praxis (CP), Supervisorin, systemische Paartherapeutin, Ausbilderin für Mediation, Dozentin für das fakultätsübergreifende Modul Konfliktmanagement an der Universität Hohenheim.

„Sie sind doch Familienmediatorin – geht es dabei nur um Trennung und Scheidung oder können Sie auch helfen, wenn es einen Familienkonflikt wegen der Wohnsituation der alt gewordenen Eltern gibt?“ Mit dieser Anfrage begann eine Mediation, die in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich war. Obwohl ich damals schon auf eine mehrjährige Berufserfahrung als Familienmediatorin zurückblicken konnte, hatte ich es, von gelegentlichen Erbmediationen einmal abgesehen, kaum mit Familienkonflikten im Zusammenhang mit dem Älterwerden und seinen Konsequenzen zu tun. Kein Wunder: Die Elder Mediation, wie Mediation rund um das Thema Alter genannt wird, hat sich erst in jüngster Zeit als eigenständiges Gebiet der Mediation etabliert.

Was gehört alles zur Elder Mediation?

Die Anwendungsfelder der Elder Mediation sind vielfältig: Zum großen Bereich der Familienmediation gehören z. B.

  • Paarkonflikte beim Übergang in den Ruhestand, wenn die Vorstellungen zur Lebensgestaltung nach der beruflich aktiven Phase auseinandergehen
  • Paarkonflikte bei Differenzen im Hinblick auf eine altersgerechte Wohnsituation
  • Generationsübergreifende Konflikte, z. B. zwischen besorgten erwachsenen Kindern und auf Autonomie bestehenden alten Elternteilen
  • Konflikte unter erwachsenen Geschwistern, z. B. zum Umgang mit Vermögenswerten, bei unterschiedlicher Einschätzung der Schutz- und Hilfsbedürftigkeit der Eltern und/oder im Hinblick auf die faire Rollenverteilung bei der Unterstützung der hilfsbedürftigen Eltern
  • Konflikte innerhalb des Familienverbundes zu schwierigen Entscheidungen für ein Familienmitglied, das selbst nicht mehr autonom entscheiden kann, z. B. zur medizinischen Versorgung, zu lebenserhaltenden oder palliativmedizinischen Maßnahmen bis hin zur Planung von Bestattung und Trauerfeier
  • Konflikte in Familienunternehmen beim Umgang mit typischen Altersthemen wie z. B. der beginnenden Demenz des immer noch in den Geschäftsbetrieb involvierten Seniorchefs

Daneben umfasst die Elder Mediation auch Konflikte außerhalb des familiären Umfelds, z. B. innerhalb von Senioren- und Pflegeeinrichtungen, sowie Konflikte zwischen diesen Einrichtungen und dem alten Menschen und/oder dessen Angehörigen. Eine wichtige Rolle in die Mediationspraxis spielt die Erbmediation, die als eigenständiges, aber oft mit der Elder Mediation verknüpftes Mediationsgebiet gilt.

In meinem ersten „Elder-Fall“ mischte sich ein Paarkonflikt (80-jähriger Ehemann, der unbedingt im Eigenheim bleiben will, während die gleichaltrige Ehefrau, in eine Seniorenresidenz ziehen möchte) mit einem Geschwisterkonflikt (Sohn und Tochter haben einen unterschiedlichen Eindruck von der Hilfsbedürftigkeit ihrer Eltern und streiten darum, wer welche Aufgaben für die Eltern übernehmen soll sowie ob und ggf. wie sie sich im Konflikt ihrer Eltern positionieren sollen).

Worauf muss ich bei der Elder Mediation besonders achten?

Wenn ältere oder sogar hochbetagte Menschen in die Mediation kommen, achte ich als Mediatorin ganz besonders darauf, dass sie genau wie die übrigen Beteiligten gehört werden und ihre Interessen aktiv einbringen können. Dazu passe ich das Verfahren ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen entsprechend an, z. B. durch häufigere Pausen, die Wahl einer angemessenen Sprache oder die Verwendung besonders großer Schrift.

Vor allem Personen mit eingeschränkter Ausdrucksfähigkeit, z.B. nach einem Schlaganfall, müssen ausreichend Raum erhalten, um ihre Interessen darlegen zu können. In manchen Fällen kann eine Vertrauensperson in die Mediation einbezogen werden, die den älteren Menschen unterstützt und für ihn spricht. Wenn das nicht möglich ist, bin ich als Mediatorin gefordert, ein erhöhtes Maß an Verantwortung für die Interessen und Rechte dieser schwächeren Person zu übernehmen. Hier gerate ich leicht in ein Dilemma, was meine Allparteilichkeit betrifft: Einerseits darf ich nicht für eine Konfliktpartei als deren Fürsprecherin oder Sachwalterin ihrer Interessen auftreten, andererseits muss ich darauf achten, dass zwischen den Konfliktparteien eine faire Verhandlung auf Augenhöhe stattfindet. Dabei braucht manchmal die eine Seite mehr Empowerment als die andere. Eine echte Gratwanderung! In solchen Fällen habe ich gute Erfahrungen damit gemacht, mein Dilemma ganz offen mit den Beteiligten zu besprechen. Dann stellt sich in der Regel heraus, dass die Angehörigen sich sogar ausdrücklich wünschen, dass ich den gesundheitlich eingeschränkten alten Menschen aktiv unterstütze. Schließlich wollen alle, dass am Ende eine auch für ihn zufriedenstellende Lösung gefunden werden kann.

Wenn ich den Eindruck hätte, dass der ältere Mensch trotz meiner Unterstützung der Mediation nicht folgen oder nicht auf Augenhöhe mit den anderen Konfliktparteien verhandeln kann, würde ich die Mediation nicht fortsetzen, sondern stattdessen ein mediationsanaloges Verfahren wie die Cooperative Praxis (CP) vorschlagen.

Empathische Kommunikation ist auch in der Elder Mediation der Schlüssel, um eine vertrauensvolle Beziehung zu allen Konfliktparteien aufzubauen. Dabei geht es nicht nur um die Fähigkeit, sich in ältere Menschen hineinzuversetzen und ihre Bedürfnisse, Ängste und Wünsche zu verstehen. Auch die übrigen Beteiligten, z. B. die pflegenden Angehörigen, die professionellen Pflegekräfte oder die unter den Wesensveränderungen ihrer Eltern leidenden Kinder erleben oft körperlich und emotional überfordernde Situationen. Ein besonders spannendes Thema sind Rollenkonflikte zwischen erwachsenen Geschwistern, bei denen tiefsitzende Verletzungen und Rivalitäten aus der Kindheit zutage treten können.

Der feinfühlige und zugleich professionelle Umgang mit starken Emotionen der Konfliktparteien gehört zu den wichtigsten Kompetenzen in der Elder Mediation. Ganz entscheidend ist weiterhin die Fähigkeit zur Selbstreflektion: Was macht dieser Mediationsfall mit mir, mit welchen Emotionen gehe ich in Resonanz? Supervision und kollegialer Austausch sind bei dieser anspruchsvollen Arbeit unverzichtbar, um hilfreich für die Medianden sein zu können, ohne eigene Lebensthemen auf sie zu projizieren.

In meinem Fall waren die beiden Senioren durchaus in der Lage, ihre Positionen mit Nachdruck zu vertreten. Durch destruktive Kommunikationsmuster war es ihnen aber in der Vergangenheit nicht gelungen, die frustrierten Bedürfnisse des jeweils anderen zu erkennen und empathisch darauf zu reagieren. Als in Phase 3 der Mediation mit Hilfe verschiedener Gesprächstechniken die Interessen und Bedürfnisse hinter den Positionen erarbeitet wurden, hatten beide ein regelrechtes „Aha-Erlebnis“: Ihr ging es um Entlastung von der Hausarbeit und um mehr soziale Kontakte, ihm um Autonomie in der eigenen Immobilie und genügend Rückzugsmöglichkeiten. Beide konnten nachvollziehen, was dem jeweils anderen wichtig war. Es entwickelte sich ein lösungsorientiertes Gespräch, bei dem sich alle vier Familienmitglieder an einem Brainstorming beteiligten, wie die Interessen am besten unter einen Hut gebracht werden könnten.

Wie qualifiziere ich mich für die professionelle Elder Mediation?

Um für diesen facettenreichen und anspruchsvollen Aufgabenbereich gut gerüstet zu sein, lohnt sich eine fundierte Mediationsausbildung nach dem hohen Standard des QualitätsVerbundes Mediation (QVM®) mit dem Schwerpunkt Familienmediation. Der modular aufgebaute Ausbildungslehrgang auf dem CONSENSUS Campus, bestehend aus einem 120-stündigen Basiskurs und einem 80-stündigen Vertiefungskurs Familienmediation, entspricht diesen Anforderungen und bereitet auf die Zertifizierung als QVM®-Mediator bzw. QVM®-Mediatorin vor. Sowohl der Familienmediation-Vertiefungskurs in Stuttgart als auch der Familienmediation-Vertiefungskurs in Hamburg bieten theoretisches Wissen, praktische Übungen und Fallbeispiele, um die für die Elder Mediation erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse zu erwerben.

Während des Einstiegs in die Praxis ist der Austausch mit anderen Mediatorinnen und Mediatoren, die in der Elder Mediation tätig sind, ist von unschätzbarem Wert. Die Teilnahme an Fachkonferenzen, Workshops und regionalen Netzwerken hilft dabei, das eigene Wissen zu erweitern und von den Erfahrungen anderer zu profitieren. Ein reichhaltiges Angebot hält die Bundes-Arbeitsgemeinschaft für Familien-Mediation bereit, speziell mit ihrer Fachgruppe Elder Mediation

Welches Potenzial hat die Elder Mediation?

Der demografische Wandel spricht für sich: Mit der zunehmenden Zahl älterer Menschen und den komplexen Herausforderungen, denen sie und ihre Familien gegenüberstehen, wächst auch der Bedarf an Elder Mediation. Anders als die Generation der heute hochbetagten Menschen betrachten die „jungen Alten“ es nicht mehr als Tabu, sich bei Konflikten in der Familie professionell unterstützen zu lassen. Nachdem die Familienmediation in den letzten 20 Jahren das Thema Trennung und Scheidung erobert hat, gilt die Elder Mediation als eines der Zukunftsthemen der kommenden Dekade. Das Alter als junges Gebiet der Mediation bietet spannende Perspektiven auf dem Mediationsmarkt und zugleich eine besonders erfüllende, persönlich bereichernde Arbeit.

Und wie ging es nun weiter mit meiner ersten Elder Mediation? In vier jeweils 90-minütigen Sitzungen gelang es, eine für alle vier Familienmitglieder zufriedenstellende Lösung zu finden. Das ältere Ehepaar einigte sich, das zu groß gewordene Haus durch eine bequeme Eigentumswohnung mit zwei Schlafzimmern und gemeinsamem Wohnzimmer zu ersetzen und eine Haushaltshilfe einzustellen. Die Ehefrau meldete sich bei einer Seniorengruppe an, die gemeinsame Ausflüge und Freizeitaktivitäten anbot. Sohn und Tochter übernahmen klar umschriebene Aufgaben beim Umzug, während ansonsten Hilfeleistungen im Alltag von beiden Senioren ausdrücklich nicht gewünscht wurden, wohl aber häufigere Telefonate mit dem Sohn, was dieser gerne zusagte. Am Ende waren alle sehr erleichtert und guten Mutes.

Mein Fazit

Älteren Menschen und ihren Familien in schwierigen Zeiten bei der Suche nach guten und nachhaltigen Lösungen zu helfen, das ist eine sinnstiftende Aufgabe, in die auch der Schatz an eigener Lebenserfahrung eingebracht werden kann. Elder Mediation lohnt sich in jeder Hinsicht – nicht nur für die betroffenen Familien, sondern auch als neuer Markt für die professionelle Familienmediation.