Autorin: Dr. Imke Wulfmeyer

Dr. Imke Wulfmeyer, stellvertretende Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft für Familienmediation (BAFM), Mediatorin (BAFM/ BM) in eigener Praxis mit dem Schwerpunkt Familienmediation, Rechtsanwältin, Anwältin für Cooperative Praxis (CP), Supervisorin, systemische Paartherapeutin, Ausbilderin für Mediation, Dozentin für das fakultätsübergreifende Modul Konfliktmanagement an der Universität Hohenheim.

Überblick: In Deutschland tritt zum 1. März 2024 eine neue Rechtsverordnung zum Mediationsgesetz in Kraft, durch die sich die Anforderungen an die Ausbildung zum zertifizierten Mediator (m/w/d) ändern. Was sich auf den zweiten Blick hinter den Neuregelungen verbirgt und inwieweit hierdurch die bisherigen Missstände behoben werden, untersucht die Autorin aus der Sicht einer erfahrenen Mediationsausbilderin.

Keywords: ZMediatAusbV, Mediationsausbildung, Rechtsverordnung, Digitalisierung, Etikettenschwindel, Qualitätskontrolle, Zertifizierung, Präsenzzeitstunden, Einzelfallsupervision, Supervisionsbescheinigung.

Was kommt?

Kaum wurde die geänderte Zertifizierte-Mediatoren-Ausbildungsverordnung (ZMediatAusbV) vom Bundesministeriums der Justiz (BMJ) vorgestellt, dämpft die verantwortliche Referatsleiterin die Erwartungen, indem sie ihre Erläuterungen mit den Worten einleitet, der „große Wurf“ sei bewusst ausgeblieben. Wie ist das zu verstehen und was verbirgt sich hinter den neuen Regelungen, die vom Verordnungsgeber als „minimalinvasiv“ bezeichnet wurden?

Nicht alles, was auf dem Papier nach einem großen Umbruch aussieht, bedeutet bei näherer Untersuchung tatsächlich eine maßgebliche Änderung der Rechtswirklichkeit Umgekehrt können minimale Änderungen des Wortlauts einer Rechtsnorm massive Konsequenzen haben. Was bewirken also die folgenden Änderungen?

Konstitutiver Charakter der bisher deklaratorischen Bescheinigung über den Abschluss der Ausbildung

Erster Anschein: Mit der konstitutiven Zertifizierung durch die Ausbildungsinstitute gem. § 2 Abs. 1 i. V. m. Abs. 6 ZMediatAusbV n. F. wird die zu Recht kritisierte Selbstzertifizierung abgeschafft (so ausdrücklich Thole, ZKM 2023, 131, 132).

Auf den zweiten Blick: Gem. § 2 Abs. 6 ZMediatAusbV a. F. war auch schon nach dem alten Recht von der Ausbildungseinrichtung eine Bescheinigung über den (erfolgreichen) Abschluss der Ausbildung auszustellen. Ob diese nur deklaratorischen oder konstitutiven Charakter hat, dürfte für die Betroffenen eher eine juristische Spitzfindigkeit darstellen. In Ermangelung einer Zertifizierungsstelle musste jeder selbst dafür Sorge tragen, die Berechtigung zum Führen des begehrten Titels notfalls nachweisen zu können, falls sie z. B. in einem Abmahnverfahren angezweifelt werden sollte. Daher wurde auch schon nach dem alten Recht von den Ausbildungsteilnehmenden sehr viel Wert auf diese Bescheinigung gelegt, denn wie hätte man diesen Beweis sonst im Ernstfall führen sollen? Juristische Laien unterscheiden nicht zwischen einem Zertifikat und einer „Bescheinigung, mit der jemand nötigenfalls nachweisen kann, dass er berechtigt ist, sich aufgrund einer Selbsteinschätzung als zertifiziert zu bezeichnen“. Laut Parallelwertung in der Laiensphäre war die entsprechende Bescheinigung das Zertifikat. Wenn sie nun auch offiziell so genannt werden darf, weil sie nach dem neuen Recht konstitutiv ist, ändert sich in der Rechtswirklichkeit nichts. Genau wie bisher werden Personen sich ohne jegliche Überprüfung ihrer Kompetenz – noch nicht einmal durch ihr eigenes Ausbildungsinstitut, geschweige denn durch eine neutrale Zertifizierungsstelle – als zertifizierte Mediatorinnen und Mediatoren bezeichnen können. Die Korrektur des Verordnungsgebers ist an dieser Stelle nicht minimalinvasiv, sondern rein kosmetisch.

Integration der bisher nachgelagerten Fallsupervisionen in die Ausbildung

Erster Anschein: Bisher musste gem. § 2 Abs. 2 ZMediatAusbV a. F. ein einziger selbst mediierter Praxisfall durch eine Supervisionsbescheinigung nachgewiesen werden, um sich zertifizierter Mediator (m/w/d) nennen zu dürfen, nach dem neuen Recht (§ 2 Abs. 2 ZMediat AusbV n. F.) sind es fünf. Durch das deutlich erhöhte Erfordernis der Praxiserfahrung und deren Bestätigung durch das Ausbildungsinstitut wird das Ansehen der Mediationsausbildung aufgewertet.

Auf den zweiten Blick: Auch bisher mussten gem. § 2 Abs. 1 i. V. m. § 4 Abs. 1 ZMediatAusbV a. F. fünf Praxisfälle innerhalb von drei Jahren mediiert und supervidiert werden, um den Titel zertifizierter Mediator (m/w/d) auf Dauer führen zu können. Die bisherige Rechtsverordnung wollte nur die Fallakquise erleichtern, indem der Titel schon nach dem ersten supervidierten Fall quasi auf Probe geführt werden durfte, diese Berechtigung dann aber wieder wegfiel, wenn innerhalb von zwei weiteren Jahren nicht die zusätzlich geforderten vier Fälle mediiert und supervidiert wurden. Es wird also streng genommen gar nicht das Erfordernis der Praxiserfahrung erhöht, sondern nur die zwischenzeitliche Akquiseerleichterung gestrichen.

Der sowieso schon schwierige Zugang zum Markt dürfte Berufsanfängern dadurch noch weiter erschwert werden.

Dies jedenfalls dann, wenn sie die von der Rechtsverordnung aufgestellten Hürden ernst nehmen und respektieren. Eine effektive Kontrolle, ob tatsächlich fünf Praxisfälle mediiert (im Sinne der Definition von § 1 Mediationsgesetz) und mit für die Supervision ausgebildeten Fachleuten durchgesprochen wurden, findet auch nach dem neuen Recht nicht ansatzweise statt.

Anhebung der Ausbildungsstundenzahl nebst Erweiterung der Lehrinhalte (Online-Mediation und Digitalkompetenz)

Erster Anschein: Die Ausbildung zertifizierter Mediatorinnen und Mediatoren wird digitaler (so ausdrücklich die Schlagzeile auf der Homepage des BMJ. Der Umfang des Ausbildungslehrgangs wird in § 2 Abs. 4 ZMediatAusbV n. F. von 120 auf 130 Zeitstunden erhöht, somit um 8,33 %. Dabei wurden als weitere Lerninhalte die Digitalkompetenz und die Kompetenz zur Durchführung von Online-Mediationen in den Ausbildungskatalog aufgenommen.

Auf den zweiten Blick: Tatsächlich verlangt die neue Rechtsverordnung nicht, dass überhaupt irgendein Teil des Curriculums in digitaler Form unterrichtet wird, auch nicht die zusätzlichen 10 Stunden. In § 2 Abs. 4 S. 3 ZMediatAusbV wird nur die maximale Anzahl der virtuellen Unterrichtsstunden reglementiert; ein Mindestanteil wird dagegen nicht vorgegeben. Einige Ausbildungsinstitute legen jetzt schon großen Wert auf die Vermittlung von Digitalkompetenz in all ihren Ausbildungslehrgängen. Andere Ausbildende, denen die digitale Kompetenz fehlt, werden den Live Online-Anteil auch weiterhin so niedrig wie möglich halten. Theoretisch wäre es nach der Rechtsverordnung sogar zulässig, in physischer Präsenz eine Präsentation zum Thema Online-Mediation zu halten und komplett auf den Unterricht im virtuellen Klassenraum zu verzichten. Die Ausbildung zertifizierter Mediatorinnen und Mediatoren wird tatsächlich digitaler,
allerdings geschieht dies aufgrund der permanent steigenden Nachfrage und nicht wegen, sondern trotz einer Rechtsverordnung, die die Digitalisierung durch eine Obergrenze eindämmt.

Gleichstellung von Einzel- und Gruppensupervision

Erster Anschein: Die Wahlfreiheit zwischen Einzel- und Gruppensupervisionen ist als eine wesentliche Änderung der neuen Rechtsverordnung hervorzuheben.

Auf den zweiten Blick: Auch für das alte Recht wurde schon vertreten, dass mit der Einzelsupervision gem. § 2 Abs. 5, § 4 ZMediatAusbV a. F. eigentlich eine Einzelfallsupervision gemeint sei. Die neue Rechtsverordnung stellt nun klar, dass die Teilnehmenden einer Mediationsausbildung zwischen Einzel- und Gruppensupervision wählen dürfen, indem einfach nur von „supervidierten“ Fällen die Rede ist. Einen großen Unterschied wird das nicht machen, denn auch bisher haben Ausbildende und Supervidierende schon kreative Lösungen gefunden, um eine Einzelsupervision in ein Gruppensetting einbauen zu können.

Gleichstellung von fallbegleitender und nachträglicher Supervision

Erster Anschein: Im Gegensatz zur bisherigen Regelung in § 2 Abs. 5, § 4 ZMediatAusbV a. F., nach der alle Supervisionen ausdrücklich im Anschluss an eine Mediation durchgeführt werden mussten, ist in § 2 Abs. 5 ZMediatAusbV n. F. nur noch von supervidierten Mediationen die Rede. Folglich stellt es eine wesentliche Änderung dar, dass die Supervisionen nun wahlweise auch während einer laufenden Mediation stattfinden.

Auf den zweiten Blick: Tatsächlich ist eine Supervision besonders dann hilfreich, wenn deren Ergebnisse noch für einen laufenden Mediationsfall genutzt werden können. Insofern ist es folgerichtig, dass die Rechtsverordnung den Zeitpunkt der Supervisionen nicht mehr unnötig reglementiert. Als gebräuchlicher Umgang mit der bisherigen Regelung hatte es sich in der Praxis bewährt, Supervisionen nach Bedarf auch schon zwischen den Sitzungen in Anspruch zu nehmen und nach Abschluss der Mediation zumindest noch einmal ein kurzes Supervisionsgespräch zu führen, um das Ergebnis der ersten Praxisfälle und die Learnings für die eigene zukünftige Arbeit zu reflektieren. An dieser gerade für die Supervision im Rahmen der Ausbildung sinnvollen Vorgehensweise wird sich durch die Neuregelung nichts ändern.

Klärung des Begriffs der Präsenzzeitstunden bei gleichzeitiger Einschränkung des Anteils virtueller Präsenzzeitstunden

Klar ist: Ab dem 01.03.2024 dürfen keine reinen Live online- Ausbildungslehrgänge zum zertifizierten Mediator
(m/w/d) mehr angeboten werden, sondern nur noch Lehrgänge mit maximal 40 % Online-Anteil. Bei 130 Präsenzzeitstunden sind das maximal 52 Stunden live online und mindestens 78 Stunden in physischer Präsenz.

Auf den zweiten Blick: Für das alte Recht wurde in der Literatur kontrovers diskutiert, ob mit dem Begriff der Präsenzzeitstunden nur die physische Präsenz gemeint sei. Das BMJ enthielt sich im Online-Austausch einer Positionierung unter Verweis darauf, dass der Verordnungsgeber seinerzeit noch gar nicht an die Möglichkeiten eines virtuellen Klassenraums gedacht hatte. Offensichtlich hat sich der Verordnungsgeber aber meiner Ansicht angeschlossen, dass sich die Begriffe Präsenzunterricht und virtueller Unterricht nicht ausschließen, sondern dass es auch virtuelle Präsenzzeitstunden im Sinne der Rechtsverordnung zum Mediationsgesetz geben kann. Das geht eindeutig aus der Formulierung in § 2 Abs. 4 S. 3 ZMediatAusbV n. F. hervor: „Bis zu vierzig Prozent der Präsenzzeitstunden können in virtueller Form durchgeführt werden…“. Damit wird nachträglich legitimiert, dass viele Ausbildungsinstitute den Begriff der Präsenzzeitstunden so interpretiert haben, dass es nicht auf die physische Anwesenheit am selben Ort, sondern auf die synchrone Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden sowie innerhalb der Lerngruppe ankommt. Für die Alumni der bisherigen Live Online-Ausbildungen und auch für diejenigen, die ihre laufende Mediationsausbildung noch nach dem alten Recht abschließen können, gibt es also endlich Rechtssicherheit.

Wegfall des Erfolgs-Erfordernisses in Bezug auf Ausbildungslehrgang und Ausbildung

Erster Anschein: Es macht keinen nennenswerten Unterschied, dass das Erfordernis des „erfolgreichen“ Abschlusses
sowohl des Ausbildungslehrgangs in § 2 Abs. 5 ZMediatAusbV a. F. als auch der Ausbildung in § 2 Abs. 6 ZMediatAusbV a. F. gestrichen wurde. Da die Verordnung auch bislang keinerlei Regelung für eine Erfolgskontrolle vorsah, ist es nur folgerichtig, ganz auf dieses inhaltsleere Kriterium zu verzichten.

Auf den zweiten Blick: Viele Ausbildungsinstitute haben ihren eigenen Qualitätsanspruch und stellen zusätzliche Kriterien auf, die sie bisher mit dem Argument durchsetzen können, dass die Rechtsverordnung den erfolgreichen Abschluss des Ausbildungslehrgangs und den erfolgreichen Abschluss der Ausbildung (sprich: Ausbildungslehrgang plus Supervision des Anerkennungsfalles) voraussetze. In Auslegung des Begriffs „erfolgreich“ nehmen sie eine Qualitätskontrolle vor, z. B. in Form eines Abschlusskolloquiums am Ende des Lehrgangs, durch die Forderung einer schriftlichen Dokumentation des Anerkennungsfalles und indem sie Qualifikationsnachweise der die Anerkennungsfälle supervidierenden Personen verlangen.

In der Neufassung wird nun jeglicher Appell an eine Sicherstellung des Erfolges der Mediationsausbildung in Bausch und Bogen abgeschafft.

Theoretisch könnten dann die Absolventen und Absolventinnen einfach nur den Kurs „absitzen“, sich weigern, jemals in den Rollenspielen die Mediatorenrolle zu übernehmen und dann anschließend fünf Supervisionsbescheinigungen von einer Person einreichen, die niemals eine Mediationsausbildung oder Supervisionsausbildung abgeschlossen hat. Wie Risse in der ZKM schreibt, bleibt den Ausbildungsinstituten nach der Neufassung wohl kaum etwas anderes übrig, als die Vorlage von fünf Supervisionsbescheinigungen zu akzeptieren, die eine unqualifizierte Person im Anschluss an fünf unqualifiziert durchgeführte Mediationen ausgestellt hat. Das ist ein deutlicher Rückschritt, was die Qualitätssicherung in der Mediation und die Wertigkeit des Titels betrifft.

Übertragung administrativer und juristischer Kontrollaufgaben bezüglich der Fortbildungspflicht auf die Ausbildungseinrichtungen

Was klar erscheint: Nach der neuen Rechtsverordnung erhalten die Ausbildungsinstitute die Aufgabe einer „Eingangskontrolle“ im Hinblick auf die Fortbildung, und zwar einmalig nach Ablauf einer vierjährigen Frist, die mit dem Erhalt der Bescheinigung über den Abschluss der Mediationsausbildung beginnt.

Was tatsächlich unklar ist: Zunächst überrascht, dass das BMJ in seiner Erläuterung zu § 3 Abs. 4 ZMediatAusbV n. F. auf S. 11 wie selbstverständlich davon ausgeht, dass die Ausbildungsinstitute nur ein einziges Mal, und zwar für den ersten vierjährigen Zeitraum gem. § Abs. 1 ZMediatAusbV n. F., die fristgerechte Erfüllung der Fortbildungsverpflichtungen kontrollieren und eine entsprechende Bescheinigung ausstellen müssen. Diese Einschränkung ergibt sich nicht aus dem Verordnungstext. Dieser lässt zumindest auch die Interpretation zu, dass die Erfüllung der Fortbildungspflicht unbefristet im vierjährigen Turnus vom ursprünglichen Ausbildungsinstitut zu prüfen und ggf. zu bescheinigen ist.

Aber selbst nach der einschränkenden Auslegung müsste jede Ausbildungseinrichtung, die Mediationsausbildungen durchführt, nach Abschluss des Ausbildungslehrgangs noch bis zu sieben Jahre a) bestehen sowie b) bereit und in der Lage sein, den administrativen Aufwand zu übernehmen, der in der ihr vom Verordnungsgeber zugedachten Aufgabe liegt. Dies ist alles andere als selbstverständlich in einem Markt, auf dem Mediationsausbildungen völlig unkontrolliert angeboten werden können. Dieses Problem kann sich auch schon im Zusammenhang mit der Prüfung der Supervisionsbescheinigungen innerhalb des dreijährigen Zeitraums des § 2 Abs. 5 ZMediatAusbV n. F. stellen, dürfte aber sieben Jahre nach Abschluss des Lehrgangs noch deutlich häufiger auftreten. Welche Rechtsfolgen es für die neu ausgebildeten Mediatoren und Mediatorinnen nach sich zieht, wenn von der ursprünglichen Ausbildungseinrichtung keine Bescheinigung mehr erhältlich ist
und diese auch keinen Rechtsnachfolger benannt hat, auf den die Bescheinigungspflicht übergehen könnte, bleibt völlig unklar.

Selbst wenn das ursprüngliche Ausbildungsinstitut noch existiert und sogar willens ist, die ihm vorgelegten Fortbildungsbescheinigungen zu prüfen, stellt sich die gewissenhafte Erfüllung dieser Aufgabe als große Herausforderung dar. Anders als der Begriff „Eingangskontrolle“ suggeriert, geht es hier keineswegs um einen schlichten Datenabgleich, der vom Backoffice leistbar wäre. Vielmehr müssen die Fortbildungsbescheinigungen auch inhaltlich darauf überprüft werden, ob sie den Anforderungen des § 3 Abs. 2 ZMediatAusbV n. F. entsprechen, also als „Vertiefung und Aktualisierung einzelner in der Anlage aufgeführter Inhalte“ angesehen werden können. Besonders praxisrelevant dürften Fälle von Fristversäumnis sein. Nach welchen Kriterien soll ein Ausbildungsinstitut entscheiden, ob die jeweilige Frist unverschuldet i. S. v. § 8 ZMediatAusbV verpasst wurde und wie lange das unüberwindliche Hindernis bestand? Hier ist zu erwarten, dass diese Prüfungsprozesse sehr uneinheitlich und intransparent ablaufen.

Fortgeltung der bisherigen Rechtsverordnung in Übergangsfällen

Erster Anschein: Wer spätestens am 29. Februar 2024 die Mediationsausbildung beginnt und diese sowie die Fortbildung innerhalb von vier Jahren abschließt, kann den begehrten Titel noch nach dem alten Recht erlangen. Erleichterte Akquise durch frühe Titelführung, 10 Stunden weniger Unterricht (und damit weniger Kosten), keine Beschränkung des Anteils von virtuellem Präsenzunterricht – hier winken gleich mehrere Vorteile.

Auf den zweiten Blick: Nähme man die Formulierung des Verordnungsgebers wörtlich, so könnte sich niemand jemals nach § 7 Abs. 4 Nr. 2 ZMediatAusbV als zertifizierter Mediator (m/w/d) bezeichnen. Die dort umschriebene Voraussetzung kann nicht eintreten, weil die Fortbildung nicht bis zum 29. Februar 2028 abgeschlossen sein kann, sondern die Fortbildungspflicht turnusmäßig immer weiterläuft. Gemeint ist offenbar auch hier – wie schon bei § 3 Abs. 4 ZMediatAusbV – der erste vierjährige Turnus. Hier drängt sich der Eindruck auf, dass der Verordnungsgeber die über diesen Zeitraum hinausgehende Fortbildungspflicht selbst nicht wirklich ernst nimmt. Möglicherweise zeugt das sogar von Realismus:

Wenn es keine Kontrollinstanz gibt, wird wohl kaum jemand den Titel freiwillig wieder ablegen.

Auch wenn es nicht gelungen ist, hat sich der Verordnungsgeber immerhin bemüht, die Selbstzertifizierung durch einen „Kniff“ abzuschaffen. Die Selbst-Rezertifizierung nach dem ersten Vier-Jahres-Turnus blieb dagegen unangetastet.

Was bleibt?

Abgesehen von den beschriebenen Neuerungen bleibt es beim Status quo der bisherigen Rechtsverordnung: Mit Ausnahme von 10 zusätzlichen Stunden bleiben der Aus- und Fortbildungsaufwand einschließlich der Anzahl der supervidierten Praxisfälle und der Auflistung der Ausbildungsinhalte im Anhang zur ZMediatAusbV unter dem Strich unverändert, nur die Trennlinie zwischen Aus- und Fortbildung wird verschoben. Die Begriffe „Supervision“ und „Ausbildungseinrichtung“ bleiben genauso inhaltsleer wie vor der Novelle, sodass jeder die Supervisionen durchführen und jeder eine Ausbildungseinrichtung für Mediation aufmachen könnte. Auch der jeglicher Regelungstiefe entbehrende, lapidare Hinweis auf die erforderlichen fachlichen Kenntnisse der eingesetzten Lehrkräfte bleibt, wie er war. Auf Qualitätskontrolle wird weiterhin komplett verzichtet. Dies sowohl hinsichtlich der Absolventinnen und Absolventen der Mediationsausbildung als auch der Ausbildungseinrichtungen und ihrer Lehrkräfte als auch der Supervisorinnen und Supervisoren.

Was bleibt unklar?

Folgen bei Fristversäumnis

Unklar bleiben die Rechtsfolgen bei Versäumnis einer der in der Rechtsverordnung festgelegten Fristen. Das schon im alten Recht bekannte Problem ändert sich dem Grunde nach nicht, wird aber wesentlich brisanter für die Ausbildungsinstitute: Künftig müssen sie nicht nur die Einhaltung der Frist für den ersten supervidierten Anerkennungsfall prüfen, sondern die gleiche Prüfung noch bei vier weiteren supervidierten Praxisfällen vornehmen. Außerdem müssen sie womöglich auch noch alle vier Jahre (oder nach der restriktiven Auslegung immerhin einmal nach Ablauf von vier Jahren) die Einhaltung der Frist für das Absolvieren von 40 Fortbildungsstunden überprüfen. Strittig ist (und wird es auch bleiben), ob der komplette Ausbildungslehrgang bei Überschreitung einer dieser Fristen wiederholt werden muss, ob vielleicht sogar die ganze Ausbildung (einschließlich des supervidierten Anerkennungsfalles bzw. der supervidierten Anerkennungsfälle) noch einmal von vorne begonnen werden muss oder ob es irgendeine Möglichkeit der Heilung gibt. In Betracht kommt auch, hinsichtlich der Rechtsfolgen zwischen den supervidierten Praxisfällen und den Fortbildungsstunden zu differenzieren.

Verschiedene Ausbildungsinstitute bieten spezielle Auffrischungskurse für Mediatoren und Mediatorinnen an, die eine Frist versäumt haben, aber nicht den gesamten Ausbildungslehrgang wiederholen wollen. Ungeachtet der stichhaltigen Argumente, die aus didaktischer Sicht für diesen Ansatz sprechen, bewegt er sich dennoch in der rechtlichen Grauzone, da die Rechtsverordnung keine Anhaltspunkte für eine solche Heilungsmöglichkeit bietet.

Für Nachholungsmöglichkeiten bei versäumter Fortbildung und gegen die Notwendigkeit der Wiederholung der gesamten Mediationsausbildung spricht sich Fritz aus. Gegen eine Nachholung bei Fachanwälten hat der BGH betont, dass mit Ablauf der Frist die Verletzung der Fortbildungspflicht unumkehrbar feststehe, also die Fortbildung nicht im folgenden Jahr nachgeholt werden könne. Zwar ist die Fachanwaltsordnung auf die Mediationsausbildung nicht anwendbar, jedoch wäre es denkbar, die sorgfältig begründeten Erwägungen des BGH auch in diesem Kontext als Argumentationshilfe heranzuziehen. Da die entsprechende Regelung bei Fachanwälten lange Zeit als sehr unbefriedigend galt, hat die Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer am 8. Mai 2023 (nach Prüfung durch das BMJ am 01.10.2023 in Kraft getreten) eine Änderung von § 4 Abs. 2 FAO und § 15 Abs. 5 FAO herbeigeführt, nach der fehlende Fortbildungsstunden auf Antrag innerhalb einer angemessenen Frist nachgeholt werden können. Im Falle der Mediationsausbildung wäre ein vergleichbarer Lösungsansatz nur dann denkbar, wenn es eine Kammer oder offizielle Zertifizierungsstelle gäbe, die derartige Anträge prüfen könnte.

Folgen bei Fristversäumnis

Während die neue Rechtsverordnung an einigen wenigen Stellen zu einer Klärung beiträgt, führt das bewusste Beibehalten der geringen Regelungstiefe dazu, dass die wesentlichen Unklarheiten und vagen Formulierungen der alten Fassung bestehen bleiben. Zusätzlich wirft sie verschiedene neue Fragen auf, z. B
  • Kann die Rechtsverordnung privaten Bildungsträgern überhaupt wirksam die genannten administrativen und juristischen Kontrollaufgaben aufbürden? Auf welcher Rechtsgrundlage können die Ausbildungsteilnehmenden ihren Ausbildenden gegenüber einen Anspruch auf Prüfung externer Fortbildungsbescheinigungen oder Supervisionsbescheinigungen geltend machen? Können die Institute diese Leistung von einer Gebühr abhängig machen? Können sie diese Prüfung an eine Zertifizierungsstelle delegieren?
  • Welche Folgen hat die Einstellung des Geschäftsbetriebs einer Ausbildungseinrichtung? Kann eine Zertifizierungsstelle dann die Prüfung der Unterlagen und die Ausstellung der Bescheinigungen anstatt des nicht mehr existenten Instituts übernehmen?
  • Wie verträgt sich die jahrelange Kontrollpflicht der Ausbildungseinrichtung über den Ausbildungslehrgang hinaus, die die Speicherung personenbezogener
    Daten mit sich bringt und die die Teilnehmenden nicht beenden können, ohne ihren Titel zu verlieren, mit der Datenschutzgrundverordnung?
  • Wie sind die Übergangsvorschriften auszulegen unter dem Aspekt, dass die Fortbildungspflicht im Gegensatz zur Implikation des Verordnungstextes in Wirklichkeit nie abgeschlossen ist?

Fazit

Der Versuch, dem Vorwurf der Selbstzertifizierung mit einem „Kniff“ zu begegnen, vermag nicht zu überzeugen: Die so genannte Zertifizierung durch die Ausbildungseinrichtungen ist noch genau so ein Etikettenschwindel wie vorher. Kleine Veränderungen zum Positiven wurden im Zusammenhang mit dem Setting und dem Zeitpunkt der Supervision erreicht. Die Digitalisierung der Ausbildung wird dagegen durch eine Obergrenze eher eingedämmt als gefördert. Immerhin gibt es jetzt Rechtssicherheit im Hinblick auf den Begriff der Präsenzzeitstunden und deren zulässigen virtuellen Anteil. Der bisher schon schwache Appell an eine wie auch immer geartete Erfolgskontrolle der Ausbildung wird resigniert gestrichen.

Qualitätsbewussten Ausbildungsinstituten bleibt damit nur die Berufung auf einen Standard außerhalb der Rechtsverordnung, vom Hochschulzertifikat über IMI bis zur QVM®-Zertifizierung.

Nur so können sie dem Anspruch gerecht werden, mehr als einen Sitzschein auszustellen und Supervisionsbescheinigungen unklarer Provenienz durchzuwinken.

Wie Risse zu Recht betont, zeigt das aufwendige Beteiligungsverfahren, mit dem das BMJ die Reform der Rechtsverordnung vorbereitet hat, dass den dort Verantwortlichen sowohl die Verbesserung der Mediationsausbildung als auch ein offener, demokratischer und informierter Austausch mit Fachleuten dazu ein ehrliches Anliegen war. Hier zeigt sich in der Tat eine geradezu mediative Haltung des BMJ, die des Regelungsgegenstandes würdig ist und gar nicht hoch genug geschätzt werden kann. Ein virtueller runder Tisch zum Erfahrungsaustausch über Mediation in Zeiten von COVID 19, das war eine großartige Initiative des BMJ.

Wie konnte es also passieren, dass nach all dem Kreißen der Berge am Ende nur ein Mäuschen zur Welt kam, um mit den Worten des römischen Dichters Horaz zu sprechen: „Parturient montes, nascetur ridiculusmus“?

Der Versuch des BMJ, die Fachkompetenz aus der Mediationsszene zu nutzen, um die entscheidenden Schwachstellen der Verordnung zu beseitigen, muss im Endeffekt als gescheitert betrachtet werden. Weder auf der Seite des BMJ noch aus dem Kreis der Experten und Expertinnen aus Mediationspraxis und -ausbildung fehlte es an gutem Willen oder an Engagement. Jedoch ergaben die zahlreichen Stimmen am runden Tisch ein so wildes und widersprüchliches Durcheinander, dass sie sich gegenseitig übertönten, wechselseitig schwächten und am Ende in den Augen des BMJ sogar disqualifizierten. Nicht umsonst begründet Thole19 ihre Bedenken gegen die Einführung einheitlicher Qualitätsstandards und deren Überprüfung durch eine neutrale Stelle mit den folgenden Worten: „Dabei wirft es leider kein so günstiges Licht auf die Mediationsszene, dass diese selbst nicht in der Lage ist, ihre jeweiligen Interessen zu identifizieren, miteinander in Einklang zu bringen und in eine gemeinsame Lösung zu transferieren.“ Diese Kritik hat gesessen!

Wenn es den Akteuren der Mediationsszene nicht gelingt, gemeinsame Bezugspunkte zu finden und lösungsorientiert zusammenzuarbeiten, wer sollte das denn sonst können? Das Kapitel „Neue Zertifizierte Mediatoren- Ausbildungsverordnung“ ist erst einmal abgeschlossen, Kapazitäten werden frei, sodass sich jetzt ein Blick in die Zukunft lohnt. Die Vielfalt und Unterschiedlichkeit als Ressource für kreative Ideen zu nutzen, Konflikte in Zukunft als Motor für spannende Entwicklungen zu begreifen, strukturiert und konzertiert vorgehen, um für gemeinsame Ziele zu kämpfen – so könnte das nächste Kapitel in der Geschichte der Mediation beginnen.

Nun ist die Lage also neu und das Mäuschen wird am 1. März 2024 das Licht der Welt erblicken. Es ist an der Zeit ist, sich darauf einzustellen und sich gedanklich schon ein bisschen mit ihm anzufreunden.

Literatur

  • Fritz, Roland; Krabbe, Heiner; (Einzel-)Supervision für zertifizierte Mediatoren–Teil 1, ZKM 3/2017, 89.
  • Fritz, Roland/Pielsticker, Dietrich; Handbuch zum Mediationsgesetz Teil 2, 2. Aufl. 2018, Köln.
  • Risse, Jörg; Änderung der Zertifizierte-Mediatoren-Ausbildungsverordnung, ZKM 5/2023, 176–179.
  • Thole, Larissa; Neue Vorgaben für die Ausbildung zertifizierter Mediatoren, ZKM 2023, 131–134.
  • Wulfmeyer, Imke; Mediation in Zeiten des digitalen Wandels, Spektrum der Mediation 80/2020, S. 19 ff.
  • Horaz (65 bis 8 v. Chr.), Ars poetica, Vers 139, sinngemäß übersetzt: Es kreißen die Berge, zur Welt kommt nur ein
    lächerliches Mäuschen.
  • https://www.bmj.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/0713_Mediatoren.html.
  • https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/ Stellungnahmen/2023/0428_Stellungnahme_Consensus_ZMediatAusbV.pdf
  • https://www. qv-mediation.de.