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Interview mit Dr. Andrea Hartmann-Piraudeau:„Wo uns die Schwarzenegger-Botschaft ins Herz trifft, fühlt jemand aus Russland vielleicht nur Irritation“
In den sozialen Netzwerken kursiert ein Video, in dem sich Arnold Schwarzenegger direkt an die Menschen in Russland wendet. Was kann er mit seinem Clip bewirken? FOCUS Online sprach mit der Kommunikationsexpertin Dr. Andrea Hartmann-Piraudeau.
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Arnold Schwarzenegger hat Millionen von Followern in den sozialen MedienFOCUS Online: Arnold Schwarzenegger wendet sich in seinem Video direkt ans russische Volk und da insbesondere an die Soldaten. Was war Ihr erster Eindruck, als Sie den Film gesehen haben?
Andrea Hartmann-Piraudeau: Ich empfinde es als authentisch, was Schwarzenegger da sagt. Man nimmt ihm ab, dass er persönlich das Bedürfnis hatte, aktiv zu werden. Besonders spannend wird es an der Stelle, wo er von seinem Vater erzählt, der ja im zweiten Weltkrieg in Russland gekämpft hat. Arnold Schwarzenegger spricht von den Folgen, seelisch wie körperlich.
In der Konfliktforschung nennen wir so etwas Selbstoffenbarung: Die eine Seite öffnet sich, zeigt Schwäche. Das führt dazu, dass auch die andere Seite eher dazu bereit ist, so genannte Soft Spots, eigene Verletzlichkeiten, zu zeigen. Für ein konstruktives Konfliktgespräch ist die persönliche Ebene, die wir hier erleben, sehr wichtig.
Konfliktforscherin Dr. Andrea Hartmann-Piraudeau Sebastian Berger
Inwiefern ist dieses Video etwas anderes als das, was wir im Moment medial sonst erleben?
Hartmann-Piraudeau: Ein häufiges Problem von politischen Reden ist, dass sie eben nicht authentisch wirken. Gerade wenn es um hochkomplexe Zusammenhänge geht, wird im Vorfeld rhetorisch gefeilt. Jedes Wort soll sitzen und um sicher zu gehen wird dann oft abgelesen. Das ist nachvollziehbar.
Die Akteure müssen allerdings damit leben, dass ihre Botschaften wenig durchdringen, wenn – überspitzt gesagt – über die Sonnenblumen-Ernte im selben Tonfall gesprochen wird wie über Krieg. Wenig authentisch vorgetragene Botschaften sorgen beim Empfänger für Verwirrung, er bleibt mit seinen Fragen allein. Bei Schwarzenegger ist das Gegenteil der Fall.
Der Ex-Governeur nimmt uns mit?
Hartmann-Piraudeau: Das kann man so sagen, ja. Schauen Sie, wir erleben derzeit unfassbar komplexe Vorgänge in der Welt, das alles droht uns komplett zu überfordern. Und dann kommt da jemand, der bringt das Ganze ein Stück weit auf eine Mikroebene zurück: ich als Mensch, du als Mensch.
Gefangen in einem Krieg, den wir doch eigentlich beide nicht wollen, der letztlich jeder Seite nur schadet. Jeder versteht das, daher kann es gut tun, dieses Video zu hören, dass sich scheinbar vor der in diesen Tagen so verbreiteten Schwarz-Weiß-Sicht auf die Dinge abhebt.
„Ich bin mir nicht sicher, ob der Botschafter der richtige ist“
Wieso hebt sich das Video in Ihren Augen nur scheinbar ab?
Hartmann-Piraudeau: Weil man sich natürlich schon fragen muss, wie sehr hier tatsächlich von Mensch zu Mensch gesprochen wird. Hier der Amerikaner, da die Russen, hier der Schauspieler, da der kleine Mann? Nicht mit mir, scheint der Mann im Sessel sagen zu wollen.
Das Thema des Videos ist tiefe Verbundenheit und nochmal: Aus der Konfliktforschung wissen wir, wie wertvoll Empathie und Verbundenheit als Türöffner sind. Empathie ist allerdings auch ein bekanntes Manipulationsprinzip. Vereinfacht: Ich schmiere dem anderen erst Honig um den Bart, fange ihn ein und weise ihn dann ganz gezielt auf bestimmte Punkte hin: Schau mal hin, was ihr da macht.
Arnold Schwarzenegger richtet eine emotionale Botschaft an die Russen. 2019 Photo_Doc/Shutterstock.com
Geht gar nicht. Der Grat zwischen ehrlichem Mitgefühl und Manipulation verläuft zuweilen schmal. Sagen wir so: Wenn hier an die russischen Soldaten appelliert wird, die Gewehre niederzulegen, ist das natürlich mehr als nur eine persönliche Haltung.
Propaganda meinen Sie?
Hartmann-Piraudeau: Möglicherweise, ja.
Das klingt jetzt aber ganz anders als das, was Sie zunächst gesagt haben. Damit wäre das Video taktisch und nicht authentisch.
Hartmann-Piraudeau: Ich möchte hier keine Beurteilung abgeben, kann nur aus Sicht der Konfliktforschung sprechen und aufzeigen, was für Muster wir kennen und was möglich wäre. Wenn ich sage, es tut gut, dieses Video zu sehen, heißt das übrigens auch nicht automatisch, dass ich davon ausgehe, dass es einen Beitrag zur Deeskalation des Konflikts leisten wird. Da wäre ich nämlich eher skeptisch. Anders ausgedrückt: Ich bin nicht sicher, ob die Botschaft bei der Zielgruppe ankommt. Und ich bin auch nicht sicher, ob der Botschafter der richtige ist.
„Schwarzenegger ist ein Paradebeispiel für unsere individualistisch geprägte Gesellschaft“
Das müssen Sie erklären. Arnold Schwarzenegger ist prominent, vermutlich auch im russischsprachigen Raum vielfach ein Idol. Wieso sollte er kein guter Botschafter sein?
Hartmann-Piraudeau: Weil er die freie Welt, den Wohlstand und die Werte des Westens verkörpert. Arnold Schwarzenegger ist geradezu ein Paradebeispiel für unsere individualistisch geprägte Gesellschaft. Da ist einmal der Körperkult, die Schönheit des Einzelnen, die durch seine Karriere als Bodybuilding- Star zum Ausdruck kommt.
Und dann ist da natürlich Hollywood, Schwarzenegger war ja Hauptdarsteller in zahlreichen Filmen. Feindbilder spielen in diesen Filmen eine große Rolle. Feindbilder, die vor allem mit dem Blick durch die Brille westlicher Menschen verstanden werden wohlgemerkt.
Arnold Schwarzenegger hat Millionen von Follower in den sozialen Medien Christoph Hardt/Geisler-Fotopres/picture alliance
Nicht zu vergessen Arnold Schwarzeneggers Biografie, vom Tellerwäscher zum Millionär wenn man so will. Das sind alles sehr westliche Geschichten. Ob Menschen in Russland sich dadurch angesprochen fühlen? Ich würde das mit einem großen Fragezeichen versehen. Jeder, der will, kann etwas bewegen – das ist unsere persönliche und verkürzte Sicht.
Genau das scheint aber doch tatsächlich zu geschehen, wenn man Medienberichten glaubt.
Hartmann-Piraudeau: Immer mehr russische Soldaten geben auf? Vorsicht, das ist Propaganda, die in jedem Krieg auftritt. Etwas, auf das wir weder hoffen noch bauen sollten. Wir beklatschen das, tun so, als sei das die Lösung. Einfach die Waffen weglegen. Und was dann? Was macht der russische Berufssoldat? Wo soll er hin? Wie geht sein Leben weiter?
Was für eine Zukunft hat er? An dieser Stelle scheint mir der Blick durch Arnold Schwarzeneggers Brille und vielleicht auch unser aller Blick ziemlich einseitig. Unser Wahrnehmungsfilter ist der der stark individualistischen Gesellschaft.
In Russland wie übrigens im überwiegenden Teil der Welt sind kollektivistische Werte wichtig. Die Gruppe ist wichtiger als der Einzelne. Ein Einzelner, der seine Waffe weglegt, lässt damit die anderen im Stich. Keine einfache Entscheidung, noch dazu in einer gefährlichen Ausnahmesituation.
„Mach dies, mach das: Das ist zu einfach gedacht“
Inwiefern kann es helfen, hier zu differenzieren?
Hartmann-Piraudeau: Es geht jedenfalls nicht darum, zu sagen: Das eine oder andere ist besser oder schlechter. Wer in Russland aufgewachsen ist, hat andere Erfahrungen gemacht und andere Geschichtsbücher gelesen als jemand, der in Deutschland aufgewachsen ist. Wo uns die Botschaft eines Schwarzeneggers spontan ins Herz trifft, fühlt jemand aus Russland zunächst vielleicht vor allem eines: Irritation.
Im Fernsehen sehen wir aber doch viele Menschen, die zum Beispiel in Moskau gegen den Krieg demonstrieren.
Hartmann-Piraudeau: Ja, das sind wahnsinnig mutige und starke Menschen, die das tun. Der Aufruf zu diesem Handeln ist aber kritisch zu sehen, weil es für den Einzelnen Konsequenzen haben kann, die wir uns gar nicht vorstellen können. Der Umsturz muss von innen kommen…
Das sagt sich leicht, wenn man in Deutschland oder Frankreich oder Amerika lebt. Und das erleben wir ja bei vielen Konflikten in der Welt. Wir schauen in den Nahen Osten oder nach Afrika und schütteln den Kopf: Was soll das, wie kann man wegen sowas nur Krieg führen? Wir beurteilen und verurteilen, statt erstmal zu versuchen, die Bedürfnisse zu verstehen und aus welcher Perspektive jemand handelt.
Putin-Verstehern wirft man genau das vor.
Hartmann-Piraudeau: Lassen Sie uns beim Film von Arnold Schwarzenegger bleiben und mich erklären, was für mich daran beim genaueren Hinsehen nicht stimmig ist. Schauen Sie, unser Wohlstand ist enorm, unsere Freiheiten wirken nach so vielen Jahren des Friedens fast wie selbstverständlich.
Das alles führt dazu, dass wir uns häufig mit Themen beschäftigen, die nicht besonders existenziell sind. Wir fragen uns, vereinfacht, wie wir unser Leben noch besser machen können. Und übertragen diese Art zu denken automatisch auf andere: Mach dies, mach jenes, dann wird das. Das ist zu einfach gedacht. So gut sich Arnold Schwarzeneggers Vorschläge spontan auch anhören mögen.
„Der Brückenschlag, den mancher wittert, ist begrenzt“
Das klingt fast so als wollten sie sagen, dieses Video hätte man sich auch sparen können.
Hartmann-Piraudeau: Soweit würde ich nicht gehen, aber der Brückenschlag, den manch einer vielleicht wittert, ist nach meiner Meinung begrenzt. Zumindest im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine. Im Kleinen und wenn wir zum Beispiel hier bei uns in Deutschland schauen sehe ich durchaus einen möglichen Impuls zur Deeskalation.
Wenn Wahrnehmungsmuster und Vereinfachungen hinterfragt und „russische Menschen“ nicht pauschal unter Generalverdacht gestellt werden, ist viel gewonnen. Diese Entwicklungen beobachte ich mit Sorge. Der ruhige und freundliche Ton, in dem Arnold Schwarzenegger seine potenziellen Zuhörer anspricht, ist vor diesem Hintergrund auf jeden Fall positiv zu sehen.
Aber wäre das nicht auch auf politischer Ebene zumindest ein Anfang: Wenn man sich freundlicher begegnen würde?
Hartmann-Piraudeau: Machen wir uns nichts vor. Ein Konflikt, wie wir ihn aktuell erleben, lässt sich nicht dadurch lösen, dass die eine Seite anfängt, netter zu kommunizieren. Eine konstruktive Kommunikation wirkt vor allem prophylaktisch und gewinnt dann wieder an Bedeutung für die Deeskalation, wenn es zu ernsthaften Verhandlungen kommt.
So ungern ich das sage: In einer Lose-Lose-Situation in einem Krieg, wie wir sie aktuell haben, sind die kommunikativen Möglichkeiten sehr begrenzt. Die scharfe Rhetorik inklusive Verleumdung, Anfeindung und so weiter ist ein Zeichen, dass wir uns auf einem Peak der Eskalation befinden.
Andersrum werden wir erleben, dass die Schärfe der Kommunikation zurückgehen wird, wenn es wieder zu einer Zunahme von diplomatischen Bemühungen kommt. Wann die Zeit dafür reif ist? Keiner vermag das wohl im Moment zu sagen.
Man kann nur hoffen, dass sich bis dahin nicht zu vieles eingeschlichen und in Form einer polarisierenden Rhetorik und verfestigten Feindbildern manifestiert hat, was Annäherung in anderen Lebensbereichen dauerhaft erschweren wird. Eigene Wahrnehmungs- und Kommunikationsmuster immer wieder zu hinterfragen ist das Beste, was wir tun können, um hier gegenzuwirken. Da liegt bei jedem einzelnen eine große Verantwortung.
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FOCUS Online: Frau Hartmann-Piraudeau, Sie sagen: Wir müssen uns unserem Gegenüber zuwenden und uns wieder gegenseitig annähern. Viele Positionen um Corona erscheinen aber extrem. Kann ich mich wirklich jemandem annähern, der zum Beispiel sagt: Corona gibt es doch gar nicht… oder: Die Impfung ist gefährlich, macht unfruchtbar, ist unerforscht?
Andrea Hartmann-Piraudeau: Zugegeben: Hier dürfte es schwierig sein. Verschwörungstheorien sind aus Sicht der Konfliktforschung ja gerade deswegen so gefährlich, weil nicht eigene Interessen und Bedürfnisse zum Ausdruck gebracht werden, sondern Spekulationen über mögliche Interessen anderer und Standpunkte, die dem entgegenhalten sollen.
Stattdessen kann ich Fragen stellen, direkt und indirekt. Corona gibt es gar nicht – klang das eben wirklich ernst gemeint? Oder war das mehr flapsig daher gesagt? Wenn Ersteres: Gab es diese Überzeugung schon immer? Oder hat sich das entwickelt? Warum sagt jemand sowas? Das ist der Schlüssel.
Nachhaken hilft, Verständnis zu entwickeln, auch wenn man selbst ganz anders denkt. Nehmen wir den Solo-Selbstständigen, der in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht ist. Oder den Gastwirt, der Insolvenz anmelden musste. Wenn solche Leute die Corona-Maßnahmen übertrieben nennen, verstehen wir die Sorgen und können auch Verständnis entwickeln.
Und wie geht es dann weiter? Gerade, wenn ich selbst beispielsweise eher bei den mahnenden Virologen bin?
Hartmann-Piraudeau: Andere Menschen verstehen, muss nicht heißen, mit ihren Positionen einverstanden zu sein. Ich kann sogar entschieden gegen ihre Positionen sein und trotzdem eskaliert es nicht zwischen uns. So kann ich etwa sagen: Für mich persönlich geht Infektionsschutz vor. Das klingt ganz anders als: Du bist unverantwortlich. Oder: Was du da sagst, ist völlig verrückt.
Denn damit provoziere ich ja nur die nächste Gegenrede. Das Schwarze wird dann immer schwärzer und das Weiße immer weißer. Man entfernt sich voneinander, dabei ist man einander am Ende vielleicht sogar näher als man denkt
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